Interview mit der Action Antifasciste Paris-Banlieue zur Covid-19 Pandemie

Anfang Mai haben wir mit unseren Freund*innen der Action Antifasciste Paris-Banlieue ein Interview geführt.

Einige Erlasse und dergleichen was die Pandemie angeht sind nicht mehr ganz Aktuell, neue Ereignisse sind dazu gekommen, auch im Fall von Adama Traoré. Dennoch wollen wir euch das Interview nicht vorenthalten und haben bewusst den heutigen 05.06.2020 gewählt.

Eigentlich ein Tag an dem wir uns jährlich mit unseren Freund*innen in Paris treffen, um gemeinsam an den Mord von Clément zu erinnern, dieses jedoch aufgrund der Pandemie nicht stattfinden kann.

1 – Das ganze Jahr 2019 war geprägt von den Kämpfen der gelben Westen und gegen Macrons Reformpläne. Wie ist der aktuelle Status?
Wie Ihr wisst, waren die letzten Jahre stark von großen sozialen Bewegungen geprägt. So sehr sich die Gelbwesten völlig von den üblichen Codes sozialer Proteste gelöst haben, indem sie sich nicht mehr auf der Straße, sondern um einen Kreisverkehr herum organisiert haben, hat der Kampf gegen die Rentenreform die klassischen Gewerkschaftscodes aufgegriffen, um eine große (gesellschaftliche) Bewegung aufzubauen. Der Streik war so stark, dass die Regierung 49-3 einsetzen musste, um die Rentenreform durchzusetzen, wie 2016 für das Arbeitsgesetz. Die Verwendung dieses Artikels der Verfassung, der es ermöglicht, einen Gesetzentwurf zu „erzwingen“, zeigt die Ablehnung, die Macron und seine neoliberale Politik erfahren. In diesem sozialen Kontext wurde die Notwendigkeit, den öffentlichen Dienst zu schützen, während der Proteste weithin gesehen. Seit Sarkozy wurde das öffentliche Gesundheitswesen buchstäblich abgebaut (Verringerung der Anzahl der Betten – und insbesondere der Intensivpflege -, Verringerung der Anzahl der Pflegekräfte, Verringerung der Ressourcen…). Während der Demonstrationen gegen die Rentenreform hatten die Pflegekräfte daher ein traurig eindrucksvolles Banner “Der Staat zählt das Geld, wir werden die Toten zählen”.
Heute ist die Priorität die gesundheitliche und soziale Notlage, da die Kontaktsperre/Isolation viele Haushalte in eine Situation großer Prekarität gebracht und die Härte der Lebensbedingungen derjenigen, die auf der Straße sind, verschärft hat. Die Verantwortung unserer Regierungen für das Missmanagement dieser Krise lässt jedoch niemanden täuschen. Wie Macron in einer seiner jüngsten Fernsehreden sagte, “wird der Staat zahlen”.

2 – Frankreich ist ebenfalls von COVID19 betroffen. Wie hat der Staat auf das Virus reagiert?
Tatsächlich hat der Staat die Bedeutung der Gesundheitskrise weitgehend heruntergespielt. In der Tat dauerte es absichtlich enorm lange, angemessene Hygienemaßnahmen zu ergreifen, da diese die Wirtschaft verlangsamten. Kurz gesagt, der Schutz der Menschen vor der Pandemie war nicht Teil der wirtschaftlichen Berechnungen der Regierung. Schließlich war er gezwungen, Eindämmungsmaßnahmen zu ergreifen. Im Gegensatz zu anderen Ländern waren jedoch weiterhin viele Sektoren besonders aktiv, insbesondere die Bauindustrie. Die Arbeiter*innen wurden an die Front und ohne Hygieneschutz zur Arbeit geschickt, während die Führungskräfte von ihrem Ferienhaus am Meer aus dem Homeoffice arbeiten konnten…
3 – Es wurden Einschränkungen eingeführt, um die Ausbreitung des Virus zu begrenzen. Gibt es einen Unterschied in der Behandlung zwischen Paris und seinen Vororten?
Es wurde ein Gesundheitsnotstand ausgerufen, der es ermöglicht, außergewöhnliche rechtliche Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere in Bezug auf die Polizei und das Justizsystem. Wenn man jetzt auf die Straße geht, muss man Papiere und Reisebescheinigung haben. Wenn man diese nicht hat oder sie nicht korrekt ausgefüllt sind, kann gegen dich eine Geldstrafe verhängt werden. Offensichtlich ist das Management zwischen Paris und seinen Vororten absolut nicht dasselbe. Die Medien haben immer wieder wiederholt, dass die Einwohner von 93 (Departement Seine-Saint-Denis, eines der bevölkerungsreichsten und ärmsten in Frankreich) die Eindämmungsmaßnahmen nicht respektierten. In Wirklichkeit konnten wir in Pariser Parks und Wäldern die meisten Menschen sehen … Die Unterdrückung durch die Polizei hat zugenommen, seit der Gesundheitsnotstand den Polizisten freien Lauf lässt. So wurde ein Observatorium für den Ausnahmezustand des Gesundheitszustands eingerichtet (https://acta.zone/observatoire-etat-urgence-sanitaire/). Es hebt die Gewalt hervor, die in Arbeitervierteln, aber auch unter Migrant*innen ohne Papiere im Kampf und in Gefängnissen sowie in einem Verwaltungsgefängnis aufgrund der Anwendung von Sofortmaßnahmen zu verzeichnen ist.
4 – Wie reagieren die Menschen auf diese Maßnahmen?
Es ist sich jedem des Unsinns der Maßnahmen bewusst, die von einer Regierung ergriffen werden, die sich voll und ganz der Wirtschaft widmet. Zum Beispiel hat der Premierminister – Edouard Philippe – einen Plan zur Dekonfinierung (Beendigung der Quarantäne/Isolation) vorgelegt. In seinem Plan müssen Grundschulen und Hochschulen am 11. Mai wieder aufgemacht werden,obwohl die Pandemie absolut nicht eingedämmt ist. Die Regierung zeigt, dass es mehr darum geht, die Arbeitnehmer*innen wieder zur Arbeit zu bringen, als die Gesundheit der Menschen zu schützen. Angesichts dessen organisiert sich gerade viel Widerstand. Die Solidarität der Bevölkerung hat in verschiedenen Formen Gestalt angenommen und sich an die Bedürfnisse der Stadtteile angepasst, in denen sie leben. Zum Beispiel organisierten die Volkssolidaritätsbrigaden mit kämpfenden der “Gilets Noirs” gemeinsames Fastenbrechen im Ramadan.
5 – Nehmen Ihr an der Dynamik der “Brigades de Solidarité Populaire” teil?
Natürlich war es für uns naheliegend, uns dem Aufbau dieser beliebten Solidaritätsbewegung anzuschließen und daran teilzunehmen. Die Solidaritätsbrigarden führen zahlreiche Aktionen durch, verteilen Mahlzeiten an die Menschen auf der Straße – die durch die Quarantäne isoliert waren-, organisieren Hausaufgabenhilfe für benachteiligte Kinder und koordinieren mit den “Gilets Noirs” die Hilfe. Die Liste der Aktivitäten ist noch länger und lässt sich noch um vieles erweitern. Wie die Solidaritätsbrigaden erinnerten: “Nur die Menschen retten die Menschen”.
6 – Welche Widerstände wurden in den Vororten gegen die Macht der Polizei im Gesundheitsnotstand errichtet?
Die Vororte waren Schauplatz zahlreicher Polizeigewalt, verstärkt durch den Gesundheitsnotstand. Unter ihnen wurde in Villeneuve ein 17-jähriger Junge am Bein durch ein Polizeiauto schwer verletzt, weil ein Polizist während der Fahrt absichtlich die Tür öffnete. In vielen Distrikten (Aulnay, Suresnes, Evry, Straßburg, Nanterre …) folgte eine starke Reaktion der Bevölkerung, in der die Polizei zur Rede gestellt wurde. Die Jugend wählte daher Revolte und Solidarität als Waffe angesichts der Straflosigkeit der Polizei (wie Ihr auf diesen Bildern sehen könnt: https://www.facebook.com/actazone/videos/3084636288266952/).
7 – Könnten die Unruhen wieder an Ausmaß gewinnen, beispielsweise nach dem Tod von Zied und Bouna im Jahr 2005? Der Auslöser war auch eine Verfolgung durch die Polizei. Ich kann es aber nicht beantworten, da ich es nicht vergleichen kann, ich war 2005 erst 6 Jahre alt.
8 – Wie haben extrem rechte Gruppen auf COVID 19 reagiert?

Faschistische Gruppen haben keine soziale Rolle in der Bewältigung der Krise.

9 – Am 5.Juni 2013 wurde Clément Méric ermordet, bis jetzt gab es jedes Jahr eine Demo und andere Aktionen zum Gedenken an Clément. Jetzt mit der Pandemie und Maßnahmen zur Eindämmung ist es ja ungewiss ob dieses Jahr eine Demo stattfinden kann. Habt ihr trotzdem Ideen für das Gedenken oder sogar einen Aufruf zu individuellen Gedenkaktionen oder ähnliches?

Im Zusammenhang mit der Pandemie können wir Clément leider nicht so würdigen, wie wir es uns gewünscht hätten, da das Risiko und die Einschränkunken bei der Organisation öffentlicher Veranstaltungen oder Demonstrationen bestehen. Deshalb rufen wir zur internationalen Solidarität auf und laden alle Antifaschist*innen ein, Graffiti oder Banner zu machen, um Clément Tribut zu zollen und sie uns zu senden, damit wir sie am 5. Juni teilen können.

L´action Antifasciste Paris Banlieue