Die Landwirt*innen haben berechtigte Anliegen und Gründe für Protest und Streik. Seit Jahren gibt es gerade in der Landwirtschaft ein essenziellen Kampf ums Überleben.
Kleine und mittelständische Betriebe, wenn sie nicht extrem spezialisiert sind, haben schon seit Jahrzehnten Existenzängste.
Machen wir uns nichts vor! In und mit der Landwirtschaft wird auch eine menge Geld generiert und verdient, dieses gilt aber nicht für die breite Masse von kleinen landwirtschaftlichen Betrieben, sondern für die großen Betriebe und die Industrie. Auch die Lebensmittelriesen haben ihren Anteil. Sie sorgen auch noch mit ihrer Preispolitik dafür, dass Lebensmittel unter dem Erzeugerpreis gehandelt werden, u.a. so haben 2023 die großen der Branche Rekordgewinne eingefahren.
Konservative Einstellungen sind auf dem Land stärker vertreten als in der Stadt, das zeigt sich regelmäßig auch in den veröffentlichten Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen.
Der im Jahre 1948 gegründete Deutsche Bauernverband (DBV), der inhaltlich und personell der konservativen CDU/CSU nahe steht, ist die größte organisierte Vertretung der Bauernschaft.
Schon seit 2019 gehen Landwirt*innen regelmäßig auf die Straße, um gegen die politischen Entscheidungen der Bundesregierung zu protestieren. Jahrelang wurde die Agrarpolitik in Deutschland von der CDU/CSU geprägt. Wenn man sich anschaut wer da in den Agraausschüssen Sitz stellt man fest, dass zahlreiche Vertreter*innen im Ausschuss, besonders von CDU/CSU, in den Ausschüssen mit einer Doppelfunktion anwesend waren/sind. Einmal als Politiker*in die die Rahmenbedingungen vorgeben wie Landwirte arbeiten (z.B. Tierwohl) und was wir als Verbraucher*innen auf dem Teller bekommen (z.B. Pestizide). Weiter als Vertreter*innen aus der Agrarindustrie oder der Agra nahen Finanzwirtschaft, sowie als Funktionäre aus dem Bauernverband. Die Landwirtschaftspolitik ist durchsetzt mit Abgeordneten die auch Lobbyisten sind. Das beschränkt sich nicht nur auf den Bundestag, sondern gilt auch für das Europäische Parlament in Brüssel. In beiden Parlamenten werden hohe Summen an Subventionen für die Landwirtschaft beschlossen.
Neben dem Deutschen Bauernverband gibt es weitere Organisationen in denen sich Landwirt*innen organisieren, da sie sich vom DBV nicht vertreten fühlen und faktisch als kleiner landwirtschaftlicher Betrieb dort auch nicht vertreten werden, da der DBV vor allem Lobbyarbeit für die Agrarindustrie und Großbetriebe macht.
So gibt es z.B. noch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die auch zu den Protesten aufruft, sich aber auch insgesamt für einen klimafreundlichen und menschenwürdigen Umbau der Landwirtschaft einsetzt. Auch aus der FAU (anarchosyndikalistische Gewerkschaftsföderation) gibt es einen Aufruf sich an den Protesten der AbL zu beteiligen.
Seit 2019 bzw. seit 2021 gibt es auch noch den Verein „Landwirtschaft verbindet Deutschland e. V.“ (LsV Deutschland). Der Verein bezeichnet sich als Parteineutral, tritt aber bei der faschistischen AfD auf und fällt durch rassistische Äusserungen auf. Auch als Interview-Partner im extrem rechten Blatt „Junge Freiheit“ taucht er auf. Eine Nähe zur extrem rechten NPD und „Freien Sachsen“ wird ihnen nachgesagt. Auf vom LsV Deutschland organisierten Veranstaltungen taucht immer wieder die Fahne der Landvolkbewegung auf. Die Landvolkbewegung war ein Zusammenschluss von u.a. schleswig-holsteinischen Bauern, die sich während der Agrakriese 1927/1928 unter einer schwarzen Fahne mit rotem Schwert und einem Pflug sammelten. Es wurden von ihr u.a. Protestkundgebungen und ein Steuerboykott organisiert, sowie Sprengstoffanschläge auf Landrats- und Finanzämter sowie Privathäuser verübt. Die Landvolkbewegung steht ideologisch für völkischen Nationalismus, Antiparlamentarismus und Antisemitismus. In Schleswig-Holstein war die Bewegung ein Wegbereiter für den Erfolg der NSDAP.
Was deutlich wird, es sind verschiedene landwirtschaftliche Organisationen an den zu erwartenden Protesten beteiligt mit zum Teil sehr unterschiedlichen Interessen.
Weitere Akteur*innen sind organisierte NeoNazis und andere extrem rechte z. B. aus der AfD und der Reichsbürgerszene. Diese organisieren sich in WhatsApp und Telegram Gruppen. Die faschistische AfD sprang schon 2019 auf die Bauernproteste auf. Immer wieder projizieren extrem Rechte ihre Wünsche und auch Umsturzfantasien auf Landwirt*innen.
In einem Strategiepapier der AfD von 2019 geht es darum, wie man mehr Mitglieder und Wähler*innenstimmen für die Partei gewinnen kann und man möchte sich an Organisationen mit einem Thema das besonders AfD-affin sei. anschließen/unterwandern. Das sieht die AfD im Thema Landwirt*innen und Landwirtschaft.
Nach dem Strategiepapier nur folgerichtig, dass Melvin Schwede, der Attentäter der rechten und rassistischen Auto-Attacke von Henstedt-Ulzburg, für sich als Aufgabe angesehen hat zur Mitgliedergewinnung besonders auf die Bäuerin und Bauern im Kreis Segeberg zuzugehen.
Bei den Protesten aktuell geht es vorrangig um Kürzungen von Subventionen durch die Bundesregierung. Die AfD schreibt in ihrem Grundsatzprogramm: „Die AfD lehnt Subventionen generell ab.“ So hat sie sich auch für die Abschaffung der Subventionierung von Kfz-Steuer und Agradiesel stark gemacht, wie übrigens alle Parteien von AFD bis CDU/CSU, FDP, Grünen und SPD.
Mittlerweile gibt es aus der Landwirtschaft Stimmen, die vor einer Vereinnahmung der Proteste durch extreme Rechte warnen. Ob das reicht wird sich zeigen.
Durch die Blockade der Fähre in Schlüttsiel auf der sich u.a. Robert Habeck befand herrscht in den extrem rechten Telegram Gruppen eine regelrechte euphorische Stimmung
bei AfDlern, NeoNazis und Reichsbürgern, mit Blick auf die Proteste am 8. Januar 2023.
Die Personen die dort in Schüttsiel den Anleger blockierten und von der Polizei mit Pfefferspray zurückgedrängt werden mussten, waren keinesfalls alles Landwirt*innen. In Videos wird von beteiligten Gastronomen gesprochen und es sind Lohnunternehmer*innen zu sehen.
Eines dieser Lohnunternehmen ist „Thomsenland“ ein Unternehmen mit ca. 300 Fahrzeugen und kein Landwirt. Das Unternehmen ist schon einmal durch seine Nähe zur extrem Rechten aufgefallen.Im Sommer 2020 beteiligte sich „Thomsenland“ an der Nachstellung des Symbols der Landvolkbewegung mit Fahrzeugen in Oldenswort.
Es bleibt festzuhalten, Proteste der Landwirtschaft sind nicht per se Rechts. Schlechte Politik ist kein Grund gemeinsame Sache mit Faschisten zu machen. Eine Abgrenzung der landwirtschaftlichen Verbände von extrem Rechten wie der AfD ist bis jetzt zu zaghaft und für die seit Wochen beworbene Protestwoche ab 8.Januar 2024 zu spät. Wenn es bei den Protesten um die Zukunft von landwirtschaftlichen Betrieben geht muss es auch um eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen u.a. für Saisonarbeiter*innen gehen.