Heute haben wir uns in Norderstedt an der Kundgebung “Ein furchtbarer Anfang – vom Mord an Tevfik Gürel zum NSU – Rassistische Gewalt aufklären!”, anlässlich des 10 Jahrestag der Selbstenttarnung des NSU beteiligt.
Ab 19 Uhr sammelten sich etwa 60 Antifaschist*innen am U- und Busbahnhof Garstedt, um an Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat sowie Michèle Kiesewetter zu Gedenken.
Auch an die verletzten und traumatisierten Menschen, durch vom NSU-Netzwerk begannen rassistischen Bombenanschläge wurde Gedacht sowie an Atilla Özer, der den Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße überlebte, jedoch 2017 an den Spätfolgen des Anschlags gestorben ist.
Durch den Aufruf zur Kundgebung, ist auch der Cousin von Tevfik Gürel auf die Kundgebung aufmerksam geworden und beteiligte sich an dieser. Neben einem Redebeitrag der Initiative für ein Gedenken an Tevfik Gürel, ergriff auch der Cousin das Wort, u.a. äusserte er den Wunsch nach einem öffentlichen Gedenken an Tevfik Gürel z.B. in Form der Umbenennung der De-Gasperi-Passage in Tevfik Gürel-Passage.
Nachfolgend dokumentieren wir den Redebeitrag der Initiative für ein Gedenken an Tevfik Gürel (Kontakt: t.guerel.ini[@]inferno.nadir.org) sowie unseren.
Wir wollen hier heute erinnern an Tevfik Gürel, der vor fast 40 Jahren in Norderstedt vor der Diskothek „Whisky à gogo“ zu Tode geprügelt wurde.
An der Europaallee, vor dem Ausgang der in der De- Gaspari- Passage des Herold Center gelegenen Diskothek, wurden Tevfik Gürel und seine 3 Begleiter in der Nacht vom 18. auf den 19. Juni 1982 von etwa 10 Deutschen ausländerfeindlich beleidigt, angegriffen und verprügelt. Dem bewusstlos am Boden liegenden Gürel wurde mit einer Holzlatte mehrmals auf den Kopf geschlagen, woran er 3 Tage später, am Nachmittag des 21.6.82, auf der Intensivstation des Heidberg- Krankenhauses starb. 2 seiner Begleiter wurden schwer verletzt.
Tevfik Gürel ist eins der ersten Todesopfer rechter Straßengewalt der alten Bundesrepublik in Zeiten zunehmender Ausländerfeindlichkeit der 1980er Jahre. Gezielte rechte Morde und auch auch Anschläge mit Todesopfern hatte es seit 1945 immer wieder gegeben.
Tevfik Gürel wurde vergessen. Hier in Norderstedt erinnert nichts an ihn und an den Mord. Es gibt keinen Gedenkort, in keiner Stadtchronik wird von ihm oder der Tat berichtet.
Das wollen wir ändern.
An unserer Initiative sind Gruppen und Einzelpersonen beteiligt, hier aus Norderstedt zum Beispiel das Bündnis „Norderstedt ist weltoffen“.
Auf den Kundgebungen der Ramazan Avcı Initiative, die jährlich am 21. Dezember, dem Tag des Angriffs auf den im Jahre 1985 von Nazis ermordeten Avcı, stattfinden, haben wir erstmals von Tevfik Gürel gehört. Bei der diesjährigen Einweihung einer Gedenktafel zur Erinnerung an Mehmet Kaymakçı, der am 24. Juli 1985 in Hamburg- Langenhorn von drei Nazi-Skinheads mit einer kiloschweren Betonplatte erschlagen wurde, verabredeten wir dann zu versuchen, zum 40. Todestag von Gürel im Juni 2022 ein Gedenken zu organisieren.
Wir sind leider erst am Anfang unserer Recherche und haben selbst noch viele Fragen. Die Ramazan Avcı Initiative hat bisher erfolglos nach Angehörigen in der Türkei gesucht. Aus den Presseartikeln und Leser*innenbriefen vor allem des Norderstedter „Heimatspiegel“ wissen wir jetzt aber, dass eine nach Gürels Tod gegründete Norderstedter Initiative “Gemeinsam gegen Ausländerfeindlichkeit”, in der Deutsche und Ausländer*innen gemeinsam arbeiteten, Kontakt zu dem Vater von Gürel hatte und Spenden für ihn gesammelt hat. Leider konnten wir aber noch keine Mitglieder dieser Initiative ausfindig machen, die sich noch erinnern bzw. noch leben.
Wir wollen daher diese Kundgebung auch nutzen zu einem Aufruf an Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, sich bei uns zu melden und zu helfen, mehr über Tevfik Gürel, die Tat und den juristischen und gesellschaftlichen Umgang damit zu erfahren.
Das Wenige, das wir von ihm wissen, wissen wir aus den erwähnten Presseartikeln und Leser*innenbriefen. Ich möchte hier gerne einen am 1.7.82 im „Heimatspiegel“ abgedruckten Leserinnenbrief komplett verlesen, der uns die Stimmung der damaligen Zeit und den Menschen Tevfik Gürel etwas näher bringt. Die Verfasserin des Briefes war seine Deutschlehrerin:
„ ‘Tevfik Gürel war eine Seele von Mensch’ hat Thomas Hase im letzten Heimatspiegel geschrieben. Als ich Gürel 1980 durch Bekannte kennenlernte und er später meinen Deutschkurs besuchte, ist mir vor allem eins an ihm aufgefallen: Trotz seines schweren Schicksals – er selbst ist in der Türkei als Gewerkschafter politisch verfolgt worden, seine Verlobte kam bei einer Demonstration ums Leben – hatte er noch so viele Hoffnungen. Zuerst einmal die Hoffnung, in diesem Land Zuflucht, politisches Asyl zu bekommen. Er wollte Deutsch lernen, er hat sich für seine neue Umgebung, ihre Menschen interessiert und er hat sich eingesetzt für ein Kommunikationszentrum für Deutsche und Ausländer in Norderstedt.
Ich konnte verfolgen, wie diese Hoffnungen für ihn nach und nach zerstört wurden: Die Asylurteile der letzten 1 bis 2 Jahre deuteten an, daß für ihn wenig Aussicht auf eine positive Entscheidung über seinen Asylantrag bestand. Die besonderen Bestimmungen für Asylbewerber ließen ihn tagtäglich spüren, daß er nur geduldet war. Fahrten nach Hamburg oder in andere Orte außerhalb des Kreises Segeberg mußten extra beantragt werden. Für ein Jahr durfte er keine Arbeit annehmen, an eine seiner Ausbildung angemessene Tätigkeit war ohnehin nicht zu denken.
Auch die von ihm gesuchten Verbindungen, Freundschaften zu Deutschen gingen über unverbindliche Kontakte nicht hinaus. Wirklich einlassen auf ihn und seine Probleme wollte sich niemand. Er hat unter der Isolation als Ausländer gelitten und er hat die zunehmend spürbare negative Haltung der Deutschen gegenüber Ausländern sehr genau wahrgenommen.
Er litt aber auch unter dem Gedanken an die Verhältnisse in seiner Heimat, in die zurückzukehren den freiwilligen Gang ins Gefängnis bedeutet hätte.
Mich hat der Tod von Tevfik Gürel nicht nur deswegen erschüttert, weil ich ihn kannte, sondern auch, weil ich Angst vor dem Potential bekomme, das sich da in Norderstedt entlud.
„Das hätte ich ja auch sein können“, „wer wird der nächste von uns sein?“ – das waren die Reaktionen meiner türkischen Schüler, Angst und Hilflosigkeit machen sich breit. Und ich als Deutsche stehe hilflos da und weiß nicht, wie ich es verhindern kann, daß Metin oder Recep oder wer auch immer der nächste ist.“
Mit diesen Worten endet der Brief.
In der Todesanzeige für Tevfik Gürel, die von 120 Deutschen und Türkinnen und Türken unterzeichnet wurde, stand der Satz:
„Er wurde das Opfer einer Entwicklung, die es vielen Ausländern immer schwerer macht, in diesem Land zu leben“
Auch Ismail und Yüksel, 2 der 3 Begleiter von Gürel, von denen wir nur die Vornamen kennen, berichten von zunehmender Feindseligkeit gegen Ausländer*innen in der Bundesrepublik. Der „Heimatspiegel“ vom 24.6.82 zitiert einen von ihnen mit den Worten: „Ich lebe seit 15 Jahren hier, aber es war noch nie damit so schlimm wie in den letzten Monaten“.
Am 7. Juli ’83 schreibt ebenfalls der „Heimatspiegel“ von ausländerfeindlichen Sprühereien, Sprüchen und Zitat: „sogenannten Witzen, die das verbal schon enthalten, was für ihn [also Gürel] schreckliche Wirklichkeit wurde: die Aufforderung, Nichtdeutsche totzuschlagen“.
Zur juristischen Aufarbeitung des Mordes wissen wir praktisch noch nichts, außer dass wegen „Beteiligung an einer Schlägerei mit Todesfolge“ ermittelt wurde und das wohl auch gegen die Begleiter von Gürel. Etwa 1 Jahr nach der Tat wurde dann ein Gerichtsverfahren eröffnet, dessen Ausgang uns unbekannt ist. Wir wissen aber, dass auch heute noch Namen kursieren, die mit dem Mord in Verbindung gebracht werden. Auch hier hoffen wir, noch mehr zu erfahren, gerne auch in Zusammenarbeit mit Journalist*innen.
Wir sind aber nicht nur hier, um an Tevfik Gürel zu erinnern, sondern anlässlich des heutigen 10. Jahrestags der Selbstenttarnung des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) wollen wir auch den Opfern des NSU sowie allen anderen Opfern rechter Gewalt gedenken. Dazu folgt gleich ein weiterer Redebeitrag.
Das verbindende Element dieser unterschiedlichen Taten ist für uns der Titel eines ebenfalls am 1.7.82 im „Heimatspiegel“ abgedruckten Leserbriefs zum Mord an Gürel:
“ Ich fürchte, dies war erst ein furchtbarer Anfang.“
Diese Befürchtung hat sich leider bewahrheitet. Seit 1945 wurden mehr als 300 Menschen von Faschisten ermordet. Sie wurden auf der Straße erschlagen, in ihren Häusern verbrannt oder vom NSU hingerichtet.
Auch wenn, wie vorhin schon erwähnt, seit 1945 immer wieder rechte Morde und Anschläge mit Todesopfern stattgefunden haben, ist es erst mit Beginn der 80er Jahre zu einer regelrechten Welle rechter Gewalt gekommen, die in den 90er Jahren noch extremere Ausmaße angenommen hat. Aus der dafür verantwortlichen Nazi- Szene ist der NSU entstanden und unterstützt worden.
Und ein Ende dieser Gewalt ist bis heute nicht in Sicht, wie wir an den Morden an Walter Lübcke, in Halle und Hanau und hier in der Region an dem Tötungsversuch in Henstedt- Ulzburg vor einem Jahr sehen können.
Es ist unsere Aufgabe, diesen Terror zu beenden!
Wir fordern einen Gedenk- Ort für Tevfik Gürel und die umfassende Aufklärung des NSU- Komplexes.
Initiative für ein Gedenken an Tevfik Gürel (Kontakt: t.guerel.ini[@]inferno.nadir.org)
Heute vor 10 Jahren, am 4. November 2011 erschossen sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhard nach einem gescheiterten Banküberfall in Eisenach. In Zwickau brachte Beate Zschäpe ihre gemeinsame Wohnung zur Explosion.
Wenige Tage später hatten die Angehörigen von Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat die Gewissheit, ihre Familienangehörigen wurden Opfer des mörderischen Rassismus des NSU. Auch die Polizistin Michèle Kiesewetter wurde durch die Rechtsterrorist*innen ermordet.
Ab 11.November 2011 bis zum 4. Juli 2012 werden im sog. Bundesamt für Verfassungsschutz 310 Akten mit Informationen zu V-Männern aus der rechten Szene geschreddert. Daraufhin gab es beim Inlandsgeheimdienst einen Wechsel an der Spitze. Als neuer Präsident wurde Hans-Georg Maaßen ernannt. Säter wurde er bekannt durch Verschwörungserzählungen und durch das Verbreiten von rassistischen und antisemitischen Stereotypen. Im November 2018 wurde er in den Ruhestand versetzt – ein Schritt den besser der ganzen Behörde widerfahren wäre.
Oder wie Esther Bejarano sagte:
“Wer gegen Nazis kämpft, der kann sich auf den Staat überhaupt nicht verlassen.”
In Deutschland gibt es seit 1945 mehr als 300 Tote, ungezählte Verletzte und traumatisierte Menschen durch rechte Gewalt. Das Jahr 1980 markiert einen brutalen Höhepunkt rechter Gewalt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. In diesem Jahr entlud sich das gefährliche Potential der neonazistischen Kräfte, die sich seit dem Ende des Nationalsozialismus neu aufgestellt hatten – Oktoberfestattentat, rassistischer Brandanschlag in der Halskestraße in Hamburg und der antisemitische Doppelmord in Erlangen. Ab Anfang der 1990er Jahre folgte eine Zeit von brutaler rechter Straßengewalt, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, Lübeck – die Jahre in den sich der NSU formieren konnte.
Und hat sich was geändert?
Wir leben in einer Gesellschaft die rechten Terror, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart registriert. In der bestenfalls rechter Terror als jährliches Gedenkritual der Politik wahrgenommen wird. Wir brauchen die solidarischen Orte des Gedenkens, des Erinnern und des Mahnens. Für uns ist erinnern auch kämpfen – kämpfen gegen das Vergessen und für eine bessere Welt!
Seit dem 6. Februar 2013 gibt es mit der „Alternative für Deutschland“ eine neue extrem rechte, in teilen offen faschistische Partei, die seit 2017 auch im Bundestag vertreten ist.
Seit dem 4. Juli 2020 gibt es in der Parteienlandschaft mit die „Basisdemokratische Partei Deutschland“, kurz „Die Basis“, eine weitere extrem rechte und antisemitische Partei, die aus den Protesten gegen die Schutzmaßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie entstanden ist.
Neben weiteren Kleinstparteien wie „Die Rechte“, „Der DritteWeg“ und „NPD“, wobei es die „NPD“ auch schon vor der Selbstenttarnung des NSU gegeben hat.
Das ist eine Veränderung!
Die AfD ist die Partei, die es gerade wie keine andere schafft verschiedene rechte Spektren anzusprechen und zusammen zu bringen.
Vom Mörder von Walther Lübcke, der für die AfD plakatierte und AfD Demos besuchte, Ku Klux Klan-Aktivisten wie in Norderstedt, der erst auf Druck von Außen, die Partei verlassen musste, Rassist*innen und Antisemit*innen aus FDP und CDU, rechte Polizist*innen, christliche Fundamentalist*innen und sog. „Lebensschützer*innen“, Mitglieder der gewalttätigen und faschistischen Identitären Bewegung usw.
Weitere Milieus werden umworben, so möchte z.B. Tomasz Marius Froelich, lange Jörg Meuthens Büroleiter, eine Schlägertruppe für die AfD zusammen stellen, dafür sucht er Anschluss an HSV-Hooligans, dieser Schlägertrupp soll gegen Antifaschist*innen vorgehen.
Durch rassistische und antisemitische Stimmungsmache ermutigt die AfD Täter*innen wie in Halle, Hanau oder auch den Mörder von neun Menschen am 22. Juli 2016 am Münchener Olympia-Einkaufszentrum zu ihren Taten. Die Täter*innen beziehen sich auf die Positionen dieser Partei.
An Wahlkampfständen der AfD, die an viel zu vielen Orten zwischen der Linken, der CDU, den Grünen, der FDP und der SPD ohne Probleme stehen können und es von außen wie ein demokratischer Wettstreit zwischen den demokratischen Parteien und der faschistischen AfD aussieht, wird einem von der AfD gerne mal zu geraunt was sie mit Antifaschist*innen vorhaben – „wir werden euch weg machen!“
Am 17. Oktober 2020, in Henstedt-Ulzburg, ist das passiert was sie meinen wenn sie einen zu raunen – „wir werden euch weg machen!“ Der AfD-Anhänger Melvin Schwede ist mit einem Pick Up gezielt in Antifaschist*innen auf dem Gehweg gefahren. Bei diesem Anschlag wurden 4 Personen verletzt. Der Täter hat bei dem Anschlag mindestens den Tod der Verletzten billigend in Kauf genommen, wenn nicht sogar beabsichtigt.
Wir sind uns sicher, es wird und es ist ja auch schon an anderen Orten wieder passiert, wird weiter passieren, wir müssen der faschistischen AfD mit einem konsequenten Antifaschismus begegnen!
Die AfD ist der parlamentarische Arm des Rechtsterrorismus, sie ist die politische Kraft des Vergessens – wie Bertolt Brecht sagte:
>> Und die da reden von Vergessen und die da reden von Verzeihn – All denen schlage man die Fressen mit schweren Eisenhämmern ein.<<
In diesem Sinne – Freiheit für alle Antifaschist*innen! Nieder mit der AfD!
Nichts wird vergeben! – Nichts wird vergessen!
Erinnern heißt kämpfen! Tod dem Faschismus!
Antifa Pinneberg – Antifaschistische Initiative Kreis Pinneberg