Hamburg: Am 24. Juli 1985 wurde Mehmet Kaymakcı auf offener Straße von Neonazis erschlagen

Am Abend des 24. Juli 1985 besuchte der Maurer Mehmet Kaymakcı noch die Kneipe bei „Bei Ronnie“, wo er laut Polizeiberichten mit den drei Neonazis Frank-Uwe P., Mario B. und Bernd M. über Politik stritt.
Nachdem Mehmet Kaymakcı nachts die Kneipe verlassen hat, folgten sie ihm bis in die Straße Hohe Liedt. Dort schlugen und traten sie auf ihn ein, auch als er schon Bewusstlos am Boden lag. Anschließend schleiften sie ihn hinter ein Gebüsch am Rand des Kiwittsmoorparks, wo Frank-Uwe P. mit einem zentnerschweren Betonstück den Schädel zertrümmerte.
Bei der Tat machten sie so einen Lärm, dass in der Nachbarschaft Schlafende geweckt wurden. Die sahen, wie die drei Neonazis einen Steinblock über den Rasen rollten und riefen die Polizei. Eine Streifenwagenbesatzung konnten einen der vermeintlichen “Ruhestörer” fassen: Frank-Uwe P. Nach einer Ermahnung und der Personalienfeststellung durfte er gehen.
Am Morgen wurde von ein Radfahrer die Leiche von Mehmet Kaymakcı gefunden, daraufhin nahm die Polizei Frank-Uwe P. fest. An seinen Schuhen klebte noch das Blut seines Opfers. In Verhören gestand er: „Ja, wir waren es“. Gemeinsam mit Mario B. und Bernd M. habe er Mehmet Kaymakcı umgebracht: „Wir wollten den Türken fertigmachen.“ Mehmet Kaymakcı wurde nur 29 Jahre alt. Der rassistische Mord an ihm wurde als zwar brutale, aber Wirtshausschlägerei eingestuft. Die Täter seien „drei arbeitslose Jugendliche“, hieß es in einem kurzen Artikel im Hamburger Abendblatt.
Schon in der Woche zuvor wurden in Hamburgs U-und S-Bahnzügen massenweise Aufkleber mit dem Aufdruck „Türken raus!“ verklebt. Die gelben Aufkleber waren zweisprachig: „Türkler disariya“ sollte die AdressatInnen wohl noch mehr ängstigen. Verantwortlich für die bereits länger zuvor gedruckten Aufkleber zeichnete eine „Bürgerinitiative Deutsche Arbeiterpartei“ mit Postfach in Duisburg. Eine Vorläufergruppe der Neo-Nazi-Organisation FAP, die mit der in Hamburg aktiven Kadergruppe „Aktionsfront nationaler Sozialisten“ um Michael Kühnen zusammenarbeitete.
In Hamburg war das nicht der erste kaltblütige Mord von Neonazis. In der Nacht vom 21. auf 22. August 1980 wurden Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân bei einem rassistischen Brandanschlag von den „Deutschen Aktionsgruppen“ um Manfred Roeder, in der Halskestraße 72 in Billbrook ermordet. Im Juni 1982 erschlugen Neonazis in Norderstedt bei Hamburg den 26-jährigen Tevfik Gürel. Im selben Jahr wurde Adrian Maleika beim Pokalspiel Hamburger SV – SV Werder Bremen von Neonazis aus dem HSV-Fanclub „Die Löwen“ erschlagen. Nachdem am 21. Dezember 1985 am S-Bahnhof Landwehr Ramazan Avci von einer Horde Naziskins gejagt und totgeschlagen worden war, regte sich unter MigrantInnen aus der Türkei massiver Protest gegen die rassistischen Angriffe. Beim Mord an Ramazan Avci war das Vorgehen der Täter ähnlich wie beim Mord an Mehmet Kaymakcı: Die Brutalität der Täter zielte darauf ab, den Opfern die Köpfe einzuschlagen, sie zu vernichten, ihr Leben auszulöschen.
Kein Wunder, dass sich jugendliche MigrantInnen in Selbstverteidigungsgruppen, in Street Gangs zusammenschlossen. Auf der Straße wurden sie angegriffen, auf der Straße wollten sie sich verteidigen. Aus den antirassistischen Protesten ging auch das „Bündnis türkischer Einwanderer“ hervor. Im März 1986 veröffentlichte dieses Bündnis sein Selbstverständnis, in dem es heißt: „Wir werden der zunehmenden Ausländerfeindlichkeit und den rassistischen Angriffen gemeinsam und vereint mit allen demokratischen Mitteln entgegentreten. Wir wollen in Hamburg und überall in der Bundesrepublik Deutschland in Würde, Lebenssicherheit, Frieden, Freundschaft und Solidarität mit der deutschen Bevölkerung leben“.
Im März 1986 begann auch vor der Großen Strafkammer 17 des Hamburger Landgerichts der Prozess gegen die drei Täter, die Mehmet Kaymakcı erschlagen hatten. Die Hamburger Staatsanwaltschaft Hamburg klagte die drei Täter, der „Körperverletzung mit Todesfolge“ und wegen „Mordversuchs“ an. Staatsanwalt Reich fasste am ersten Prozesstag noch einmal das Tatgeschehen zusammen und betonte, dass Mehmet Kaymakcı sicher auch an den Schlägen und Tritten gestorben wäre. Laut Gerichtsmedizin habe das bereits im Koma liegende Opfer aber noch schwach geröchelt und deswegen sei ihm mit dem Betonblock der Schädel zertrümmert worden. Die Angeklagten traten im Prozess mit Durchschnittsfrisuren und unauffällig gekleidet auf. „Die Angeklagten hörten sich die Ausführungen des Staatsanwaltes ungerührt an“ schrieb der Prozessbeobachter Thomas Janssen in der taz hamburg. Aber so akribisch der Staatsanwalt Reich den Tathergang beschrieb, so sehr klammerte er die politischen Hintergründe aus. Auch der Vorsitzende Richter Reimers ignorierte die Verbindung der Angeklagten zu Neonazi-Gruppen.
Nachdem Frank-Uwe P. am 30. September 1984 wegen einer Verletzung den Dienst beim Bundesgrenzschutz quittieren musste, kam er in der Fußballszene – der HSV war damals bereits bekannt dafür, dass Neonazis unter seinen Fans Anhänger warben – in Kontakt mit Neonazis. Und freundete sich mit dem Neonazi Siegfried Borchert aus Dortmund an, Spitzname „SS-Siggi“, damals ein Funktionär der Neonazipartei FAP. Aber das kam beim Prozess nur am Rande zur Sprache. Frank-Uwe P. war wohl recht einsilbig wenn er von den „national eingestellten HSV-Anhängern“ sprach: „Man kannte sich halt.“
Aktenkundig ist aber eine Verurteilung Frank-Uwe P.s vom Herbst 1984 wegen Körperverletzung und Rufen von Naziparolen. Vor dem Stadion hat er „Sieg Heil!“ gerufen. Polizisten, die das unterbinden wollten, hatte er beschimpft: Sie seien „Judensäue“. Vor Gericht beklagt er sich über die Untersuchungshaft: „Auch hier werden die Deutschen von den Ausländern unterdrückt. Die halten viel mehr zusammen und mit mir wollen sie wegen der Tat nichts zu tun haben“. Alle drei Angeklagten saßen bis zum Prozess in Untersuchungshaft, auch die beiden anderen Angeklagten sehen sich selbst vor Gericht als Opfer. Bernd M. erklärte etwa, er habe Angst vor türkischen Jugendgangs. Die Aussage Frank-Uwe P.s in seiner ersten Aussage „Wir wollten den Türken fertigmachen“ spielt im Prozess keine Rolle.
Während der Prozess läuft, gibt es weitere rassistische Angriffe. Etwa am Ostermontag 1986, als laut Meldung der taz ein Imbissbudenbesitzer einen 17-Jährigen im ansonsten menschenleeren Nettlenburger Einkaufszentrum warnt: „ Pass auf, die Skins sind unterwegs“. Der Jugendliche entkam kurz darauf knapp dem Versuch, ihn mit einem Auto umzufahren.
Die Strafkammer des Hamburger Landgerichts unter Richter Reimers verurteilte Im Prozess wegen der Tötung Mehmet Kaymakcıs zwei der Täter zu acht und einen zu sieben Jahren Haft. Von einem gemeinschaftlich begangenen heimtückischen rassistischen Mord war im Urteil nicht die Rede. Dies war nicht der erste und letzte rassistische Mord bei dem kein politisches Motiv erkannt wurde. Es ist die Regel und nach wie vor allgegenwärtig.Sonst hätten die Strafen auch höher ausfallen müssen. In Langenhorn, in der Straße Hohe Liedt am Kiwittsmoorpark erinnert nichts daran, dass hier am 24. Juli 1985 Mehmet Kaymakcı von Neonazis erschlagen wurde.
Kein Vergeben! Kein Vergessen! Infos: Mehmet Kaymakcı