Am 5. Juni 2013 wurde der 18-jährige Antifaschist Clément Méric von Neonazis in Paris ermordet. Vom 3. bis 5. Juni 2016 fand in Paris ein Aktionswochenende zum Gedenken an Clément statt. Dort führten Genoss_innen der Antifa Pinneberg für das AIB ein Interview mit der Action “Antifasciste Paris Banlieue”, das wir hier gekürzt wiedergeben.
(Interviews von 2014 und vom 1.Mai 2015)
Könnt ihr euch kurz vorstellen?
Wir sind eine Gruppe von Antifaschist_innen aus Paris und den Vorstädten. Unser Hauptanliegen ist es, die Rechte zu bekämpfen, aber nicht nur. Wir sind eine antikapitalistische Gruppe und möchten den Kampf gegen Kapitalismus und den Kampf gegen Rechts verbinden. Der Kampf findet in den Köpfen und auf der Straße statt. Zur Zeit gewinnt jedoch in Frankreich die Rechte den Kampf um die Köpfe, deren Ideen finden Anklang in der Gesellschaft. Deshalb müssen wir nicht nur auf der Straße kämpfen, sondern auch um die Köpfe. Das heißt, dass wir uns auch gegen den Staat stellen der rassistische Gesetze, z.B. gegen Roma, Muslime und andere erlässt. Wir sind unabhängig von Parteien und anderen Organisationen, was nicht heißt, dass wir nicht auch mit anderen zusammenarbeiten.
Wie wurde der Mord an Clement juristisch aufgearbeitet?
Die beiden Haupttäter Esteban Morillo und Samuel Dufouy sind auf freiem Fuß. Ein Prozess ist immer noch nicht absehbar.1 Die Mörder kommen aus der Neonazi-Organisation „Troisieme Voie“ (3. Weg), die mittlerweile verboten wurde. Der Anführer der Organisation war Serge Ayoub, heute ist er Präsident und Mitbegründer des rechten Bikerclubs „MC Praetorians“, der vor allem durch die Organisierung mehrerer Neonazikonzerte bekannt wurde, unter anderem mit Endstufe, Nordglanz und Stahlfront.
Ist der Mord nach drei Jahren noch Thema in der Gesellschaft, was berichten die Medien?
Er ist kein Thema mehr. Anfangs herrschte Bestürzung und Betroffenheit in den Medien, die aber schnell einem Herunterspielen der Tat wich. Wenn etwas zum Mord berichtet wird, dann wird das Ganze immer als Auseinandersetzung zwischen zwei rivalisierenden Jugendgruppen dargestellt. Die politische Dimension wird außer Acht gelassen. Es ist allgemein gerade so, dass Taten mit rassistischem oder rechtem Hintergrund heruntergespielt und als Taten von z.B. Betrunkenen dargestellt werden und damit ein politischer Hintergrund ausgeblendet wird. Zum Beispiel bei Brandanschlägen auf Moscheen konnte man dieses Verhalten zuletzt öfter beobachten.
Wie hat sich Paris / Frankreich verändert nach den Terroranschlägen im Januar / November 2015?
Nach den Anschlägen war das Verhängen des Ausnahmezustandes vor allem eine mediale Aktion der Regierung, die Stärke zeigen und das Gefühl vermitteln sollte, dass etwas getan wird. Die Maßnahmen betrafen anfangs vor allem Menschen mit muslimischem Glauben oder solche, die für Muslime gehalten wurden. Es stehen über 3.000 Menschen unter Hausarrest und es gab ähnlich viele Hausdurchsuchungen. Wegen des Ausnahmezustands ist dies ohne richterliche Genehmigung möglich. Eine Anordnung des Polizeichefs reicht aus. Beim Klimagipfel in Paris (COP 21) haben sich die Repressionsmaßnahmen dann vor allem gegen Klimaaktivist_innen und Akteure der Linken gerichtet. Neben Hausarresten und Hausdurchsuchungen wurden auch Demonstrationen verboten.
In den letzten Jahren hat die Rechte in Frankreich viele Stimmen dazu gewonnen und die öffentliche Debatte bestimmt. Derzeit gibt es massive Proteste von links gegen eine Arbeitsmarktreform. Wie schätzt ihr die aktuelle Situation ein?
Seit den Protesten gegen die Arbeitsmarktreform richtet sich die Repression gegen jegliche Opposition, die sich gegen den Staat stellt. Die Parole der Proteste ist: „Tout le monde deteste la police!“ (“Die ganze Welt hasst die Polizei!”). Die Art und Weise der Demonstrationen hat sich verändert, es wird nicht mehr in den Blöcken der Parteien und Gewerkschaften gegangen, sondern sich eher davon distanziert. Die Leute organisieren sich unabhängig von diesen Organisationen. Besonders in den Vororten sehen sich die Menschen nicht durch die parlamentarische Linke vertreten. Die reden viel und machen nichts, hört man. Wir versuchen zumindest es anders zu machen. Es sind jede Menge Schüler_innen und Student_innen auf den Demonstrationen, die keinen Bock haben, sich vor den Karren irgendeiner Organisation spannen zu lassen. Die Polizei geht brutal gegen die Proteste vor, es gibt viele Verletzte, auch mit bleibenden Auswirkungen. Das massive Vorgehen der Polizei hat viele Menschen, die diese Gewalt nicht kennen, erschrocken. Anders als in den Vorstädten hat sich die Polizei in der Innenstadt früher eher zurückgehalten. Doch in den Vorstädten wird diese Art von Polizeitaktik schon lange erprobt und angewendet. Sie gelten als eine Art Labor für Gesellschaftskontrolle und Polizeitaktik. Was vor ein paar Jahren in den Vorstädten erprobt wurde (Drohnen, Flashballs etc.), wird heute gegen die Demonstrationen eingesetzt.
Was für Auswirkungen hat die Repression auf eure Strukturen?
Mit dem Ausrufen des Ausnahmezustandes durch die Regierung ist es für die Polizei einfacher geworden und die Repression hat klar zugenommen. Mit den Protesten der letzten Monate hat das Level dann noch einmal zugenommen. In den Medien werden wir als Organisatoren von Krawallen dargestellt und für alles was geschieht verantwortlich gemacht. Es wird versucht, die Leute einzuschüchtern, damit sie nicht mehr an den Protesten teilnehmen. Eine weitere Taktik ist es zwischen „guten“ und „bösen“ Protestierenden zu unterscheiden, um die Menschen zu spalten. Wir selber merken, dass wir mehr Antirepressionsarbeit betreiben müssen.
Was zieht ihr für ein Resümee aus dem Gedenkwochenende für Clement?
Der Kampf gegen Faschismus und Rassismus muss Teil der sozialen Kämpfe werden. Wir sehen unsere Aufgabe darin, diese beiden Kämpfe zu verbinden. Das Motto der Demonstration war ja auch gegen Repression, Rassismus und rechte Gewalt — „autodefense populaire“! Wenn man die Teilnehmenden der Demonstration, die verschiedenen Banner und Parolen, die gesprüht und gerufen wurden betrachtet, kann man wohl sagen, dass es uns gelungen ist diese Themen zusammenzubringen. Wie die ganzen Kämpfe um die Arbeitsmarktreform zeigen, besteht gerade gegen unsere Bewegung ein großer Repressionsdruck. Weiter haben wir noch zwei Konzertabende veranstaltet und ein Fußballturnier organisiert. Das hat viel Spaß gemacht und gab den Anwesenden Raum, um sich auszutauschen und kennenzulernen.
Vielen Dank für eure offenen Worte, möchtet ihr am Ende noch etwas hinzufügen?
Wenn du aktiv sein möchtest, musst du zeigen, dass du nicht nur redest, sondern auch handelst. Egal bei welchem Thema. Zeige, dass du es ernst meinst und gestalte deine Zusammenarbeit so, dass man auf Augenhöhe gleichberechtigt zusammenarbeitet.