Der Redebeitrag vom Vorsitzenenden der Jüdischen Gemeinde Pinneberg, am 15.11. auf der Demonstration “Solidarität mit der jüdischen Gemeinde und allen anderen Betroffenen rechter Gewalt”
Es gibt nur wenige Tage, an denen man in Deutschland, wenigstens teilweise, bereit ist sich mit seiner Nazivergangenheit auseinander zu setzen. Einer dieser Tage ist der 9.November. Am 9. und 10. November 1938 steckten die Nazis, tatkräftig unterstützt von größten Teilen der Bevölkerung, Synagogen in Brand, zerstörten und plünderten tausende von jüdischen Geschäften, verhafteten ca. 30.000 jüdische Männer und brachten sie in KZ s, ermordeten mehr als 1.000 Menschen. Dieses Pogrom gegen die jüdischen Mitbürger in Deutschland war ein Test dafür, wie weit man gehen kann bei der Verfolgung der Juden ohne die Ablehnung des Staatsvolkes zu provozieren. Die Schlussfolgerung für die Nazis war, dass sie nahezu alles machen konnten. Und was sie gemacht haben, wie weit sie gegangen sind, wissen wir alle. 6 Millionen ermordete Juden, 500.000 ermordete Sinti und Roma, massenhafte Ermordung von Gegnern der Nazis, ca. 24 Millionen Ziviltote bei dem Angriff auf die Sowjetunion. Die Liste ließe sich beliebig weiterführen.
Genau 75 Jahre später, in der Nacht vom 9. zum 10. November 2013, wurde unser Gemeindezentrum in Pinneberg angegriffen. Es wurde auf ein Fenster neben der Haupteingangstür massiv mit einem spitzen Gegenstand eingeschlagen. Die Scheibe bekam Sprünge, zerbrach aber nicht. Ich wage nicht mir vorzustellen, was passiert wäre, wäre es den Nazis gelungen in die Räume einzudringen.
Sie wollen Angst verbreiten, sie wollen zeigen, dass sie noch da sind und dass sie in der Lage sind zu agieren. Dazu ein ganz klares Wort an dieser Stelle: Nein, ihr macht uns keine Angst, wir haben gelernt aus der Vergangenheit, im Gegensatz zu ihnen, jeder Stein der fliegt wird von uns aufgehoben und wird zum Baustein für neues jüdisches Selbstbewusstsein. Jeder Angriff gegen jüdische Menschen oder Einrichtungen, gegen unsere Freunde, Muslime, Roma und Sinti und andere Minderheiten wird unsere entschlossene und mutige Gegenwehr stärken. Überall da, wo Nazis glauben agieren zu können, werden wir und unsere Freunde da sein und sie dahin jagen wo sie hingehören, auf den Müllhaufen der Geschichte.
Gerade in den letzten Jahren haben wir das bestätigt bekommen, was wir schon lange wussten und auch immer laut gesagt haben. Nazis sind menschenverachtend, ein menschliches Leben zählt nicht für sie, sie morden ohne jeden Skrupel, damit stehen sie ganz klar in der Tradition der alten Nazis, wenn sie könnten wie sie wollten, gäbe es morgen wieder Lager und das Massenmorden würde wieder beginnen. Aber wir werden ihnen mit allen unseren Möglichkeiten Paroli bieten. Für Nazimörder und ihre Helfershelfer gibt es keinen Ort an dem sie sich verstecken können. Es ist wie beim Hasen und dem Igel, überall da wo sie hinkommen, sind wir schon da. Mit jeder Aktion die sie machen wächst die Menge ihrer Gegner.
Bei der Demonstration nach der Aufdeckung des Lokals Rondo als Nazitreffpunkt habe ich ihnen versprochen, dass wir sie überall finden, egal in welchem Rattenloch sie sich auch verstecken, wobei ich klarstellen möchte, dass ich nicht meine, dass Ratten mit Nazis verglichen werden können, das wäre eine Beleidigung gegenüber den Ratten, im Gegensatz zu Nazis sind Ratten intelligent und haben ein ausgeprägtes Sozialverhalten.
Als Antwort auf meine Bemerkung über die Rattenlöcher fand ich einige Tage später auf der Naziplattform altermedia die Bemerkung: Seibert kann froh sein, dass es hier keine NSU gibt. Diese Bemerkung zeigt eindeutig in welche Richtung das Denken der Nazis geht.
Ich möchte mich hier an dieser Stelle auch bedanken für die Solidarität die uns, gerade in den letzten Tagen entgegengebracht wurde und immer noch wird. So viele mails habe ich noch nie in meinem Leben bekommen, mein Telefon stand tagelang nicht still. Es ist überwältigend. Unmittelbar nach der Entdeckung der feigen und hinterhältigen Tat kamen viele Leute zu uns hier zum Gemeindezentrum um uns zu zeigen, dass sie auf unserer Seite stehen. Noch einmal, Danke.
Ebenfalls sofort nach dem Anschlag haben einige Freunde aus der Antifa begonnen diese Demonstration heute, als Zeichen der Solidarität, vorzubereiten. Sie zeigten sich, wieder einmal, als verlässliche und gute Freunde unserer Gemeinde. Viel schneller als wir dachten schlossen sich andere Menschen und Organisationen dem Aufruf zur Demo an, erwähnen möchte ich hier unter anderem den DGB Region SH Südost, mit dem Kollegen Andreas Sankewitz der auch hier ist, viele Kirchengemeinden schlossen sich an und bei seinem Besuch bei unserer Gemeinde am vergangenen Dienstag rief auch der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein, Andreas Breitner, auch ein Freund unserer Gemeinde, dazu auf an der Demonstration teilzunehmen, er hat sich dafür entschuldigt, dass er heute nicht hier sein kann, er ist auf dem SPD Parteitag in Leipzig. Auch unsere Bürgermeisterin, Frau Steinberg, ist heute hier bei uns und auch viele Menschen die politische Mandate haben. Besonders gefreut haben mich zwei mails von Ligaspielern des FC St. Pauli, meinem Lieblingsverein, Danke. Auch der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein hat uns den Rücken gestärkt, aber ehrlich, lieber Walter, das haben wir auch nicht anders erwartet.
Diese breite Solidarität zeigt, dass wir alle nicht bereit sind den Nazis auch nur einen Fußbreit Boden zu überlassen. Das zeigt, dass heute viele Menschen bereit sind gegen Nazis zu stehen, die einen auf ihre Art, die anderen auf eine andere Art. Aber jede Aktion gegen Nazis hat ihre Berechtigung.
Antisemitismus und Rassismus haben keinen Platz in unserer Gesellschaft und müssen konsequent bekämpft werden. Wir erwarten, dass alle gesellschaftlichen Gruppen dies auch tun. Aber was ist die Realität? In Hamburg erleben wir seit mehreren Wochen z.B. rassistische Polizeikontrollen gegen die Lampedusa-Flüchtlinge – und ja, mann muss hier bewusst den Begriff rassistische Kontrollen wählen, der Flüchtlingsbeauftragte der UN nannte die Kontrollen rassistisch und forderte ihr Ende. Das tun wir auch. Wir haben, als Juden, die bittere Erfahrung machen müssen, was passiert wenn Staaten nicht bereit sind Flüchtlinge aufzunehmen. Wie viele Leben hätten gerettet werden können, wenn Staaten bereit gewesen wären jüdische Flüchtlinge aus dem faschistischen Deutschland aufzunehmen.
Deutschland hat eine besondere Verantwortung für Flüchtlinge, gerade wegen seiner dunklen Geschichte. Dem sollten wir auch nachkommen. Wenn der Hamburger Senat glaubt, das alles ignorieren zu können, stellt er sich ins Abseits. Mit seiner rassistischen Politik gegenüber den Flüchtlingen spielt er, vielleicht ohne es zu wollen, das Spiel der Nazis und arbeitet ihnen zu. Das Drängen in die Illegalität ist menschenverachtend. Kein Mensch ist illegal. Ich kann hier nur für mich sprechen, aber ich bin mir sicher, dass die meisten meiner jüdischen Freunde auf meiner Seite stehen. Ich fordere das Bleiberecht für unsere afrikanischen Freunde.
Ich erwarte von staatlichen Stellen ein konsequentes Vorgehen gegen Antisemitismus und Rassismus. Aber nach den Erfahrungen mit dem Umgang mit dem NSU und dem latenten Rassismus z.B. in Ausländerbehörden, auch hier im Kreis Pinneberg, habe ich keine großen Hoffnungen und kein großes Vertrauen in diese Behörden. Ich will hier gar nicht behaupten, dass sie auf dem rechten Auge blind sind, aber ihre Sehkraft ist so eingeschränkt, dass sie Blindengeld beantragen könnten.
Nochmals Dank für Ihre/eure Anwesenheit heute.Sie stärkt uns.
Keinen Fußbreit den Faschisten
Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.